Interview mit einer Sexworkerin
Sex für Geld: Carmen Amicitiae weiß ihren Charme und ihren Körper einzusetzen. Und sie fordert für SexworkerInnen die gleichen Rechte ein wie sie Jeder hat, der mit körperlicher Arbeit Geld verdient.
Ein Gedankenexperiment mit dem Paragrafen § 180a StGB, der sich mit der Ausbeutung von Prostituierten beschäftigen: Dabei wird der Begriff “Prostitution” durch “Arbeit” und der Begriff “Prostituierte” durch “Menschen” ersetzt:
§ 180a Ausbeutung von Menschen
(1) Wer gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem Personen der Arbeit nachgehen und in dem diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer
1. einer Person unter achtzehn Jahren zur Ausübung der Arbeit Wohnung, gewerbsmäßig Unterkunft oder gewerbsmäßig Aufenthalt gewährt oder
2. eine andere Person, der er zur Ausübung der Arbeit Wohnung gewährt, zur Arbeit anhält oder im Hinblick auf sie ausbeutet.
Auf ihrem Blog courtisane.de weist Sexworkerin Carmen Amicitiae auf die Widersprüchlichkeiten der deutschen Gesetzgebung gegenüber dem anschaffenden Gewerbe auf. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie ihren Körper, ihre Begleitung und Sex zu Geld macht. Selbstbewusst kämpft sie für die gesellschaftliche Akzeptanz von Prostitution und gegen die gesetzliche Willkür gegenüber der Arbeit mit der Liebe.
Nach Carmens Auffassung ist Prostitution immer ein freiwilliger Akt, denn die Berufsausübung “des Geldes wegen” versteht sie nicht als Zwang. Kein Begehren zu empfinden, heißt für sie noch nicht gleich, Ekel oder Abneigung überwinden zu müssen.
Ist Sexarbeit ein Gewerbe, das gleiche Rechte erhalten sollte wie herkömmliche Berufe? Sollte Prostitution sogar als Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme von Amstswegen vorgeschlagen werden?
Verblüffend sinnvolle Antworten von der Sexworking Carmen und ein bunter Blumenstrauß an Hintergrundwissen zum Thema Prostitution und unserer gesellschaftlichen Tabuisierung von Sex gibt's hier:
Interview mit einer Sexworkerin: Carmen Amicitiae
Neumann: In einem Vortrag auf der #HäkelKon / #QueerKon in zum Thema “Sexarbeit als Weg der sexuellen Befreiung” gehst du umfassend darauf ein, was es bedeutet, Sexarbeiterin zu sein. Um unseren Lesern einen einfachen Überblick zu dem Thema zu geben, könntest du in aller Kürze zusammenfassen, was Sexarbeit für dich bedeutet?
Carmen Amicitiae: Sexarbeit umfasst alle Formen erotischer Dienstleistungen - sei es das Anschaffen auf der Straße, die Prostitution im Bordell oder in der Wohnung, BDSM-Praktiken, Trantra, Tanz, Telefon- und Camsex, Performance, Porno, Sexualbegleitung oder eben Escort, was ich tue.
Der Begriff wurde in der internationalen Hurenbewegung entwickelt, einerseits um alle Sexdiesntleister zu inkludieren und andererseits um zu betonen, dass es sich um Arbeit handelt. Denn Sexarbei ist als solche nicht anerkannt. Das liegt einerseits daran, dass es sich um einen von Frauen dominierten Beruf handelt und andererseits daran, dass die Gesellschaft der Idee anhängt, Sex dürfe es nur kostenlos, bzw. allenfalls im Tausch gegen Liebe, Zuneigung oder Anziehung geben.
Ich denke, dass es aber Teil des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ist, zu entscheiden, dass man seinen Lebensunterhalt mit Sex verdienen möchte.
Neummann: Wie hast du damals mit deiner Arbeit begonnen? Welche Erfahrung hast du gemacht: was fandst du positiv und was negativ?
Carmen Amicitiae: Ich war jung und brauchte das Geld (lacht). Nein, im Ernst, als Studentin mußte ich irgendwann selbst für meinen Lebensunterhalt sorgen. Ich konnte mir nicht vorstellen, einen der typischen, schlecht bezahlten Studentenjobs zu machen, bei denen man von seinem Chef gegängelt und rumgeschubst wird.
Menschen in Restaurants, Konzerte oder eben ins Bett zu begleiten, konnte ich mir hingegen für mich vorstellen. Denn ich war ohnehin bereits aufgeschlossen und sexuell aktiv. Also fing ich bei einer Escort-Agentur an.
Positiv fand ich, dass mir neben der Arbeit viel Raum für das Studium blieb, da ich mit relativ wenig Zeitaufwand gutes Geld verdienen konnte. Mir macht es Spaß, mich auf verschiedene Menschen einzustellen, mit Identitäten und Stimmungen zu spielen.
Wunderbar finde ich nach wie vor, die sexuelle Offenheit und die Dankbarkeit der Kunden. Das ist ein echter Lichtblick in einer Gesellschaft, die Sex noch immer entweder tabuisiert oder glorifiziert.
Negativ fand ich, dass meine Agentur nicht hinter mir stand, als ich mal ein schlechtes Date frühzeitig abbrach. Das hat mich dann auch veranlaßt, mich als Independent Escort ganz selbstständig zu machen.
Als bedrückend empfinde ich an der Arbeit aber vor allem das Hurenstigma, das gesellschaftliche Unwerturteil, dem man als Sexarbeiter ausgesetzt ist und die vielen Vorurteile, die über Sexarbeit kursieren. Die Selbstachtung nicht zu verlieren, wenn man von der Gesellschaft verachtet wird, sich nicht zu schämen, wenn die Gesellschaft glaubt, man täte Amoralisches - dafür braucht man schon ein dickes Fell.
Neumann: Hast du einen Manager? Bzw. hast du schon einmal in Betracht gezogen, unter einem Freier zu arbeiten?
Carmen Amicitiae: In der Missionarsstellung arbeite ich ständig unter Freiern (lacht). Aber einen Manager habe ich nicht.
Ich lege sehr viel Wert auf meine Unabhängigkeit und bin, wie eigentlich alle Sexworker, selbstständig. Wenn ich meine Angelegenheiten selbst regel, habe ich mehr Freiheiten, mein Angebot nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig - mein Körper, meine Entscheidung. Dafür stehen selbstständige Sexarbeiter aber auch vor denselben Problemen wie alle Selbstständigen - allen voran die Frage nach der sozialen Absicherung.
Manchmal, wenn es gerade wieder anstrengend ist, die seriösen Kundenanfragen von den unseriösen zu trennen, wünsche ich mir einen Agenten, der mir diese lästige Arbeit abnimmt. Aber bisher habe ich noch keine Agentur gefunden, die meinen Vorstellungen gerecht wird.
Die Escort-Agenturen begreifen weitestgehend noch nicht, dass sie eigentlich Auftragnehmer der selbstständigen Begleiterin sind und nicht etwa Auftraggeber.
Sex ist, neben vielen anderen, eine Form der non-verbalen Kommunikation.
Neumann: Du sagst, dass es nach §§ 119 – 120 OwiG verboten ist, deine Dienstleistungen zu bewerben; gehst auf deiner Website offen mit deinen Services um. Wie funktioniert das?Carmen Amicitiae: Beide Paragraphen stammen aus der Zeit vor dem Prostitutionsgesetz, als Sexarbeit sittenwidrig war.
Sie sind nach wie vor in Kraft, weil sich die meisten Bundesländer geweigert haben, das ProstG umzusetzen und die Gesetzestexte entsprechend zu bereinigen. Das betrifft nicht nur das Ordnungswidrigkeitengesetz, sondern allen voran auch das Strafgesetzbuch.
In Berlin werden diese Ordnungswidrigkeiten m.E. nicht aktiv verfolgt. Sollte ich jemals für meine Webseiten-Inhalte belangt werden, werde ich das von einem Gericht grundlegend klären lassen. Für einen solchen Rechtstreit gäbe es sogar finanzielle Unterstützung von diversen Hurenverbänden. Denn eigentlich kann es ja nicht sein, dass ein von der Verfassung geschützter Beruf nicht für seine Angebotsinhalte werben darf. Das ist staatliche Diskriminierung.
Neumann: Du sagst: "Die drei Paragraphen des ProstG, die uns Sexarbeitern zaghafte Rechte gewähren, stehen neben acht Paragraphen im Strafgesetzbuch, die unsere Arbeit im Blickwinkel der Kriminalität und Strafverfolgung betrachten." Um was geht es und für welche Rechte setzt du dich ein?
Carmen Amicitiae: Es heißt in den Medien oft, Sexarbeit sei nicht reguliert oder man könne Bordelle leichter eröffnen als Imbissbuden. Das stimmt so natürlich nicht. Sexarbeit ist nur anders reguliert als andere Berufe - nämlich hauptsächlich über das Strafrecht. Unseren Beruf betreffende Gesetze erläutern nicht, was uns erlaubt ist, sondern was uns verboten ist. Sie gewähren uns nicht Rechte, sondern erlegen uns Pflichten auf - und zwar in jedem Bundesland andere. In diese Richtung tendiert auch die derzeit von der Großen Koalition diskutierte Reform des ProstG.
Wenn wir ein Verbot mißachten oder eine Pflicht nicht erfüllen, werden wir bestraft, sei es mit Geld- oder Gefängnisstrafen. Wir haben aber kaum eine Möglichkeit, uns gegen Strafen zu wehren, die wir für ungerecht halten. Während für andere Berufe generelle Arbeitsrechte gelten, gilt für uns das ProstG. Während andere nach der Abgabenordnung besteuert werden, werden wir ohne Rechtsgrundlage nach dem Düsseldorfer Verfahren besteuert.
Während die Polizei für den Zutritt zu anderen Arbeitsplätzen eine Genehmigung braucht, kann sie bei uns jederzeit Razzien durchführen. Und während sinnvolle Arbeitsschutzmaßnahmen in anderen Branchen zusammen mit den Vertretern der Berufsverbände und Gewerkschaften ausgehandelt werden, wird uns vom Staat die Hygieneverordnung der Kondompflicht auferlegt.
Als Berufsprostituierte, die von solchen Regelungen direkt betroffen sind, werden wir nicht gehört. Damit wir eine Stimme bekommen, haben ich und einige Kolleg_innen den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. gegründet. Wir kämpfen für eine faire Regulierung unserer Branche, die die Bedürfnisse von Sexarbeitern ernst nimmt und Prostitution als berufliche Option akzeptiert und nicht als "Gewalt gegen Frauen" verunglimpft und uns als zu Rettende entmündigt. Wir wollen gleiche Rechte! Denn solange für Prostitution eine Sondergesetzgebung existiert, wird in unserem Beruf keine Normalität eintreten können.
Neumann: Du sprichst von einem psychischen Druck andauernder Diskriminierung, dem man als “Sexworkerin” ausgesetzt ist. Kannst du mir ein paar Beispiele nennen?
Carmen Amicitiae: Seit dem Prostitutionsgesetz von 2002 gilt Sexarbeit rechtlich nicht mehr als sittenwidrig. In der Gesellschaft hat sich die Idee, dass es sich um einen Beruf handelt, aber noch nicht durchgesetzt. Sie bewertet Prostitution noch immer undifferenziert nach moralischen Gesichtspunkten.
Während wir für die Einen die gefallenen Mädchen sind, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muß, sind wir für die Anderen unmündige Opfer, die vor dem männlichen Täter gerettet werden müssen. Keine dieser beiden Sichtweisen nimmt uns als Menschen mit individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen ernst. Wir werden als Huren stigmatisiert und entmenschlicht, Vorurteile werden nicht infrage gestellt. Dadurch ist es leichter, Gewalt gegen uns zu tolerieren, sei es psychische oder physische.
Sexarbeiter sind häufig von Angst und Scham getrieben. Sie verachten sich für das, was sie tun, verstecken sich, sind dadurch angreifbar und leichter in Abhängigkeiten zu bringen. Viele von uns führen ein Doppelleben, um sich vor den negativen Folgen eines Outings zu schützen. Man kann es mit der frühen Schwulenbewegung vergleichen. Wir werden verfolgt, ausgestoßen und abgeschoben, müssen das asoziale Verhalten uns verachtender Mitmenschen ertragen, auch wenn sie Beamte sind. Wir werden Opfer von Mobbing, Stalking, Gewalt und Tod. Mehrfachdiskriminierung ist keine Seltenheit, denn wir sind häufig Frauen, Migrant_innen, dunkelhäutig, fremdsprachig, queer, homo-, bi-, pan- oder transsexuell.
Neumann: Was sind für dich Tabus? Was ist beim Sex erlaubt, was nicht?
Carmen Amicitiae: Tabu ist auf jeden Fall alles, was gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verstößt - auch in der Sexarbeit. Der Rest ist Verhandlungssache. Ich habe keine speziellen Vorlieben oder Abneigungen, sondern stehe auf Vielfalt. Es kann sein, dass mir eine Praktik mit dem einen Menschen gefällt, nicht aber mit dem anderen. Oder dass ich heute für X in der richtigen Stimmungen bin, morgen aber nicht. Eine direkte und offene Kommunikation über sexuelle Handlungen ist daher in jedem Falle unabdingbar.
Ich habe oft gemerkt, dass Sexarbeiter ihre sexuellen Grenzen deutlicher klar machen können, als Menschen, die keine Erfahrung in der Sexarbeit haben. Sie sind ihrem Sexualpartner gegenüber nicht durch emotionale Bindung verpflichtet, haben gelernt, Dinge beim Namen zu nennen und können daher sehr bestimmt "nein" sagen. Da könnte die Restwelt durchaus noch was von uns lernen.
Neumann: Du und dein Partner leben sich auch neben eurer Beziehung sexuell aus. War das eine Abmachung von Anfang an? Konntest du direkt offen mit ihm über deine Arbeit und Lust reden?
Carmen Amicitiae: Offenheit war für mich ein Kriterium, mich überhaupt auf eine Partnerschaft einzulassen. Eine Beziehung, die erzwungenermaßen monogam ist, habe ich nie angestrebt. Ich finde es etisch falsch, Exklusivität oder Enthaltsamkeit von meinem Partner einzufordern. Ich habe nicht das Recht zu bestimmen, mit wem oder wodurch ein anderer Mensch glücklich wird - auch dann nicht, wenn es sich um meinen geliebten Partner handelt. Denn mein Partner wird ja nicht durch Liebe zu meinem Besitz. Er bleibt ein eigenständiger Mensch mit eigenen Bedürfnissen. Daher sollte Liebe keine Gefangenen machen. Mein Partner hatte deshalb auch kein Problem mit meiner Entscheidung, als Escort zu arbeiten, weil er eine ähnliche Einstellung zu Liebe und Sexualität hat wie ich.
Neumann: Wie offen redet ihr noch heute über eure sexuellen Abenteuer außerhalb der Beziehung bzw. über deine Dates, die du auf deine Arbeit triffst?
Carmen Amicitiae: Ich erzähle aus Diskretionsgründen nicht unbedingt, mit wem ich mich treffe, dafür aber, was ich treibe. Denn das beflügelt unser beider Fantasie. Wir sprechen aber generell sehr offen über alles mögliche, das schließt sexuelle Identität, Orientierung und Fantasien mit ein. Wir finden einfach nicht, dass sexuelles Begehren etwas ist, wofür man sich schämen müßte. Sex kann etwas Schönes sein, warum sollte man das nicht facettenreich ausleben?
Neumann: Was sind das für Kunden, die dich zur Kulturbegleitung buchen? Unterscheiden die sich von den Kunden, die dich nur für Sex buchen?
Carmen Amicitiae: Man kann mich gar nicht nur für Sex buchen. Bei einem Escort-Date mit mir ist das immer in einen kulturellen Rahmen eingebunden. Denn ich möchte ja den Menschen, mit dem ich ins Bett gehe, erst mal ein bisschen kennenlernen.
Die Kunden unterscheiden sich aber nicht danach, ob sie ein Date mit oder ohne Sex buchen. Kunden, die mich für eine reine Kulturbegleitung buchen, tun es meist, um herausufinden, ob sie sich vorstellen könnten, mit mir ins Bett zu gehen. Das finde ich legitim.
Neumann: Sollte es möglich sein, dass Arbeitsagenturen Sexarbeit vermitteln?
Carmen Amicitiae: Ja, auf jeden Fall. Sofern es keine Sanktionen für Menschen gibt, die nicht in die Sexarbeit vermittelt werden wollen, wäre das ein Schritt in Richtung Gleichstellung mit anderen Berufen. Es sollte auch Fortbildungen für Sexworker und Zuschüsse für Existenzgründungen und dergleichen mehr geben.
Ich denke, wenn wir Sexarbeiter die Angebote der Arbeitsämter in Anspruch nehmen können, ohne dass eine 90 Punkt große Sensations-Schlagzeile in der BILD oder EMMA folgt, dann sind wir in Sachen Gleichberechtigung einen Schritt weiter gekommen.
//Neumann
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